Frau Traud, was bedeutet
Freiheit für Sie ganz persönlich?
G.T. Freiheit hat viele Facetten. Im Vordergrund
steht die Freiheit des Denkens
und der freien Meinungsäußerung.
Darüber hinaus ist mir wichtig, eigene
Entscheidungen zu treffen. Als Teamplayer
stimme ich mich zwar ab, um
möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen,
aber ich brauche keinen, der mir
sagt, wo es langgeht. Freiheit zu leben
heißt für mich deshalb, Verantwortung
zu übernehmen. Freiheit muss man
aber auch in Anspruch nehmen oder
sich sogar erkämpfen. Dazu gibt es leider
in vielen Ländern der Welt Anlass. Als
Person, die gerne in Bewegung ist, wird
Freiheit für mich greifbar, wenn ich mit
meinem Fahrrad einfach losfahren und
sicher sein kann, geordnete Verhältnisse
vorzufinden, in denen ich sorglos meine
selbst gesetzten Ziele erreiche.
A.F. Neben der Freiheit des Denkens und
der Meinungsäußerung ist für mich
Freiheit greifbar, wenn ich meine Zeit frei
gestalten kann. Ganz konkret sich die
Freiheit zu nehmen, um ein wenig von
dem, was man hat, was man kann oder
was einem wichtig ist, an andere weiterzugeben.
Wie ist es um diese Freiheiten ökonomischen Daten.
derzeit in der Wirtschaft bestellt?
Durch die Corona-Pandemie und
den Ukraine-Krieg zeigen sich vor
allem Abhängigkeiten. War das
mit der wirtschaftlichen Freiheit
nur eine Täuschung?
G.T. Die wirtschaftliche Freiheit war
vor der Corona-Krise relativ hoch, wenn
auch nicht schrankenlos. Dann kam es
jedoch zu erheblichen Einschränkungen
– sowohl für Unternehmen als auch für
den Einzelnen. Zum Schutz der Gesundheit
wurden Maßnahmen eingeführt,
die sich vorher kaum jemand vorstellen
konnte: Ausgangssperren, Maskenpflicht,
Kontaktbeschränkungen, Alkohol-,
Beherbergungs- und Versammlungsverbote
und vieles mehr – also
Eingriffe in die persönlichen Rechte
und Freiheiten. Durch den Krieg in der
Ukraine sind aufgrund der Sanktionen
weitere Beschränkungen entstanden,
die die Handelsströme und damit in
Folge auch unsere Wirtschaft massiv
beeinflussen. Die Angst vor weiteren
Einschränkungen bzw. Verknappungen
treibt die Preise, so z. B. die von Öl, Gas
und Weizen. Das alles bringt die globalen
Lieferketten noch mehr durcheinander,
als es durch Corona ohnehin schon der
Fall war und teilweise noch ist – und
schränkt die Spielräume für wirtschaftliche
Entscheidungen weiter ein.
A.F. Gleichzeitig ist durch den Krieg in
der Ukraine sehr deutlich geworden, wie
wichtig das Thema Energie für die Volkswirtschaft
in Deutschland ist. Eine Energiekrise
kann einen immensen Dominoeffekt
auslösen und das unterscheidet
sie von anderen Krisen. Die Finanzkrise
hatte zwar auch schwerwiegende Folgen,
aber als die Banken 2009 ins Trudeln
gerieten, liefen in der Autoindustrie
weiterhin die Fahrzeuge vom Band. Ohne
Energie läuft aber gar nichts mehr von
irgendeinem Band und auch in der digitalen
Welt läuft ohne Energie gar nichts:
keine Transaktion, keine Information.
Mit der kritischen Infrastruktur, die wir
betreiben, haben wir also eine sehr wichtige
und verantwortungsvolle Aufgabe.
Tiefe Einblicke: Als Chefvolkswirtin analysiert Dr. Gertrud Traud regelmäßig die ökonomischen Daten.
Wie frei von Abhängigkeiten kann
ENTEGA wirtschaften?
A.F. ENTEGA ist freier als andere Energieversorger,
weil wir uns von dem Energieträger
Kohle losgelöst haben und weil
wir teilweise unseren eigenen Strom aus
erneuerbaren Quellen mit eigenen Anlagen
produzieren. Aber das benötigte
Gas kaufen wir extern ein, d. h., wenn
die Gaslieferungen ausbleiben würden,
entsteht eine besondere Herausforderung,
nicht nur bei ENTEGA, sondern in
ganz Deutschland bei allen Marktteilnehmern.
Was ist mit den erneuerbaren
Energien? Denken Sie, dass in der
Wirtschaft jetzt mehr Menschen
bereit sind, die Energiewende
voranzutreiben?
G.T. Ja, die nachhaltige Energiegewinnung
rückt spürbar in den Vordergrund
und wird auch forciert. Eigentlich hatte
sich die Wirtschaft auf einen Übergangsprozess
von mehreren Jahren eingestellt.
Aber jetzt ist klar: Es muss schneller
gehen.
A.F. Das Thema Erneuerbare Energien
hat durch den Ukraine-Krieg einen
enormen Auftrieb erfahren. Und zwar
in der ganzen Bandbreite: von großen
Windparks bis hin zu der Solar-Anlage
auf dem Hausdach. Doch so wie wir uns
strategisch positioniert haben, stehen
wir als ENTEGA genau richtig da.
Saubere Sache: Der klimaneutralen
Produktion ist die Wissenschaft mit
der ETA-Fabrik an der TU Darmstadt
auf der Spur; so agiert zum Beispiel
das Darmstädter Energie-Labor für
Technologien in der Anwendung (DELTA)
als Schaufenster für die urbane Energiewende
zur Demonstration interagierender
energieoptimierter Quartiere.
Welche volkswirtschaftlichen
Auswirkungen sind Ihrer Meinung
nach zu befürchten?
G.T. Es hängen gleich mehrere Damoklesschwerter
über unseren Köpfen: Das
Thema Sicherheit im außenpolitischen
Sinn rückt nach Jahren der Abwesenheit
wieder ins Bewusstsein und somit die
Notwendigkeit von mehr Rüstungsausgaben.
Aber auch die Sicherheit der Energieversorgung
sowie der Arbeitskräftemangel
werden erheblichen Einfluss auf
unsere Wirtschaft und Gesellschaft
nehmen. Und nicht zu vergessen die seit
Corona belasteten Lieferketten und das
gestiegene Inflationsrisiko.
Hier hat die Europäische Zentralbank
(EZB) zu lange den Kopf in den Sand
gesteckt. Denn es war absehbar, dass
die Corona-Maßnahmen weltweit zu
einer höheren Inflation führen würden.
Eine expansive Geld- und Fiskalpolitik
treiben die Nachfrage. Wenn zudem das
Angebot gleichbleibt oder gar eingeschränkt
wird, führt das zu steigenden
Inflationsraten. Die Notenbank hätte
durch Erhöhung des Leitzinses viel früher
und vorausschauender agieren müssen,
um das Ziel der Preisniveaustabilität,
mit dem sie primär beauftragt ist, sicherzustellen.
,,Krieg und Corona
schränken unsere
Freiheitsspielräume
auch im wirtschaftlichen
Handeln ganz
erheblich ein.“
Dr. Gertrud R. Traud
Wie würden sich steigende Zinsen
auf die Bilanzen der ENTEGA
auswirken?
A.F. Wenn die Zinswende kommt, wird
das vermutlich vor allem solche Unternehmen
treffen, die sich über die letzten
acht bis zehn Jahre zu null Prozent refinanziert
und selbst keine solide Wertbasis
geschaffen haben. Aber auch etablierte
Unternehmen werden den Gürtel
enger schnallen müssen. Daher sind wir
bei ENTEGA in der guten Situation, dass
wir einen Großteil unseres Budgets fix
verzinst haben.
G.T. Das zeigt, dass Sie geplant und
vorausschauend gehandelt haben. Und
nicht darauf vertraut haben, dass es
immer noch billiger wird.
A.F. Ich plädiere immer sehr dafür,
die Risiken zu begrenzen und daher
günstige Zinssätze zu fixieren.
,,Wir haben uns
finanziell so aufgestellt,
dass wir auch
bei einer Zinswende
noch Gestaltungsfreiheit
haben.“
Albrecht Förster
Wagen Sie in diesen Zeiten einen
wirtschaftlichen Ausblick in die
Zukunft? Wie werden wir nach dieser
Krise leben und wirtschaften?
A.F. Ich denke, der Ausbau der erneuerbaren
Erzeugungsanlagen wird ungebremst
weitergehen. Und in der ferneren
Zukunft werden wir vielleicht technisch
in der Lage sein, das in der Luft befindliche
CO2 in irgendeiner Form wieder zu
binden. Die Sonneneinstrahlung ist eine
riesige Energiequelle, und möglicherweise
können wir dann sogar einen Treibstoff
aus dieser Energie gewinnen, wer
weiß. Diese neuen Technologien müssen
wir erst noch entwickeln. Aber ich glaube
fest daran, wir werden das schaffen.
G.T. Forschung und Entwicklung haben
auch etwas mit Freiheit zu tun. Denn
zum einen muss man den Unternehmen
erst einmal den Freiraum geben, dass
sie solche Innovationen vorantreiben und
Technologien entwickeln können, die
man sich heute noch nicht vorstellen
kann. Und zum anderen gilt im Erfolgsfall:
Solche Technologien können uns
aus dem gegenwärtigen Handlungsdruck
befreien und wieder neue Gestaltungsspielräume
eröffnen.
A.F. Auch deswegen verwenden wir bei
ENTEGA einen guten Teil unseres Budgets
für die Forschung und Entwicklung
und die Zusammenarbeit mit Universitäten
und Forschungsinstituten. Das
Darmstädter Energie-Labor für Technologien
in der Anwendung (DELTA) ist
nur eins von vielen Beispielen dafür, wie
sich ENTEGA engagiert, um die Zukunft
mitzugestalten.
G.T. Weltweit hat der Handel enormen
Wohlstand geschaffen und die Inflation
niedrig gehalten. Wenn die Globalisierung
jetzt ins Stottern gerät, werden
wir schon in den entwickelten Ländern
einige sehr deutliche Abstriche von
unserem jetzigen Wohlfahrtsniveau
machen müssen. Aber in den Entwicklungs-
und Schwellenländern, die auf
höheren Wohlstand gehofft haben, kann
eine De-Globalisierung zu Hungersnöten
führen. Ich fürchte, dass wir tatsächlich
an einem solchen Wendepunkt stehen.
Es kommen schwierigere Zeiten auf uns
und unsere bisher gelebte Freiheit zu.
A.F. Dennoch sollte man sich auch hin
und wieder vor Augen führen, dass der
Wohlstand auf der Welt insgesamt noch
nie höher war als heute. Wir sind rundum
ausgestattet mit Hightech. Wenn
wir die Krise nicht meistern, wird es
jedenfalls nicht an den fehlenden Möglichkeiten
liegen. Aber wir müssen unsere
Freiheit auch entschlossen nutzen.
Frau Traud, Herr Förster – vielen
Dank für das Gespräch!