ALBRECHT FÖRSTER
UND
DR. GERTRUD R. TRAUD
ES MUSS
SCHNELLER GEHEN
Wie frei sind Wirtschaft und Unternehmen, wenn bestehende Abhängigkeiten in die Sackgasse führen? Ein Gespräch über Chancen in der Krise zwischen dem Finanzvorstand der ENTEGA AG, Albrecht Förster, und der Chefvolkswirtin der Helaba, Dr. Gertrud R. Traud.

Frau Traud, was bedeutet Freiheit für Sie ganz persönlich?

G.T. Freiheit hat viele Facetten. Im Vordergrund steht die Freiheit des Denkens und der freien Meinungsäußerung. Darüber hinaus ist mir wichtig, eigene Entscheidungen zu treffen. Als Teamplayer stimme ich mich zwar ab, um möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen, aber ich brauche keinen, der mir sagt, wo es langgeht. Freiheit zu leben heißt für mich deshalb, Verantwortung zu übernehmen. Freiheit muss man aber auch in Anspruch nehmen oder sich sogar erkämpfen. Dazu gibt es leider in vielen Ländern der Welt Anlass. Als Person, die gerne in Bewegung ist, wird Freiheit für mich greifbar, wenn ich mit meinem Fahrrad einfach losfahren und sicher sein kann, geordnete Verhältnisse vorzufinden, in denen ich sorglos meine selbst gesetzten Ziele erreiche.

A.F. Neben der Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung ist für mich Freiheit greifbar, wenn ich meine Zeit frei gestalten kann. Ganz konkret sich die Freiheit zu nehmen, um ein wenig von dem, was man hat, was man kann oder was einem wichtig ist, an andere weiterzugeben.

Wie ist es um diese Freiheiten ökonomischen Daten. derzeit in der Wirtschaft bestellt? Durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg zeigen sich vor allem Abhängigkeiten. War das mit der wirtschaftlichen Freiheit nur eine Täuschung?

G.T. Die wirtschaftliche Freiheit war vor der Corona-Krise relativ hoch, wenn auch nicht schrankenlos. Dann kam es jedoch zu erheblichen Einschränkungen – sowohl für Unternehmen als auch für den Einzelnen. Zum Schutz der Gesundheit wurden Maßnahmen eingeführt, die sich vorher kaum jemand vorstellen konnte: Ausgangssperren, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Alkohol-, Beherbergungs- und Versammlungsverbote und vieles mehr – also Eingriffe in die persönlichen Rechte und Freiheiten. Durch den Krieg in der Ukraine sind aufgrund der Sanktionen weitere Beschränkungen entstanden, die die Handelsströme und damit in Folge auch unsere Wirtschaft massiv beeinflussen. Die Angst vor weiteren Einschränkungen bzw. Verknappungen treibt die Preise, so z. B. die von Öl, Gas und Weizen. Das alles bringt die globalen Lieferketten noch mehr durcheinander, als es durch Corona ohnehin schon der Fall war und teilweise noch ist – und schränkt die Spielräume für wirtschaftliche Entscheidungen weiter ein.

A.F. Gleichzeitig ist durch den Krieg in der Ukraine sehr deutlich geworden, wie wichtig das Thema Energie für die Volkswirtschaft in Deutschland ist. Eine Energiekrise kann einen immensen Dominoeffekt auslösen und das unterscheidet sie von anderen Krisen. Die Finanzkrise hatte zwar auch schwerwiegende Folgen, aber als die Banken 2009 ins Trudeln gerieten, liefen in der Autoindustrie weiterhin die Fahrzeuge vom Band. Ohne Energie läuft aber gar nichts mehr von irgendeinem Band und auch in der digitalen Welt läuft ohne Energie gar nichts: keine Transaktion, keine Information. Mit der kritischen Infrastruktur, die wir betreiben, haben wir also eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.

Tiefe Einblicke: Als Chefvolkswirtin analysiert Dr. Gertrud Traud regelmäßig die ökonomischen Daten.

Wie frei von Abhängigkeiten kann ENTEGA wirtschaften?

A.F. ENTEGA ist freier als andere Energieversorger, weil wir uns von dem Energieträger Kohle losgelöst haben und weil wir teilweise unseren eigenen Strom aus erneuerbaren Quellen mit eigenen Anlagen produzieren. Aber das benötigte Gas kaufen wir extern ein, d. h., wenn die Gaslieferungen ausbleiben würden, entsteht eine besondere Herausforderung, nicht nur bei ENTEGA, sondern in ganz Deutschland bei allen Marktteilnehmern.

Was ist mit den erneuerbaren Energien? Denken Sie, dass in der Wirtschaft jetzt mehr Menschen bereit sind, die Energiewende voranzutreiben?

G.T. Ja, die nachhaltige Energiegewinnung rückt spürbar in den Vordergrund und wird auch forciert. Eigentlich hatte sich die Wirtschaft auf einen Übergangsprozess von mehreren Jahren eingestellt. Aber jetzt ist klar: Es muss schneller gehen.

A.F. Das Thema Erneuerbare Energien hat durch den Ukraine-Krieg einen enormen Auftrieb erfahren. Und zwar in der ganzen Bandbreite: von großen Windparks bis hin zu der Solar-Anlage auf dem Hausdach. Doch so wie wir uns strategisch positioniert haben, stehen wir als ENTEGA genau richtig da.

Saubere Sache: Der klimaneutralen Produktion ist die Wissenschaft mit der ETA-Fabrik an der TU Darmstadt auf der Spur; so agiert zum Beispiel das Darmstädter Energie-Labor für Technologien in der Anwendung (DELTA) als Schaufenster für die urbane Energiewende zur Demonstration interagierender energieoptimierter Quartiere.

Welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind Ihrer Meinung nach zu befürchten?

G.T. Es hängen gleich mehrere Damoklesschwerter über unseren Köpfen: Das Thema Sicherheit im außenpolitischen Sinn rückt nach Jahren der Abwesenheit wieder ins Bewusstsein und somit die Notwendigkeit von mehr Rüstungsausgaben. Aber auch die Sicherheit der Energieversorgung sowie der Arbeitskräftemangel werden erheblichen Einfluss auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft nehmen. Und nicht zu vergessen die seit Corona belasteten Lieferketten und das gestiegene Inflationsrisiko. Hier hat die Europäische Zentralbank (EZB) zu lange den Kopf in den Sand gesteckt. Denn es war absehbar, dass die Corona-Maßnahmen weltweit zu einer höheren Inflation führen würden. Eine expansive Geld- und Fiskalpolitik treiben die Nachfrage. Wenn zudem das Angebot gleichbleibt oder gar eingeschränkt wird, führt das zu steigenden Inflationsraten. Die Notenbank hätte durch Erhöhung des Leitzinses viel früher und vorausschauender agieren müssen, um das Ziel der Preisniveaustabilität, mit dem sie primär beauftragt ist, sicherzustellen.

,,Krieg und Corona schränken unsere Freiheitsspielräume auch im wirtschaftlichen Handeln ganz erheblich ein.“
Dr. Gertrud R. Traud

Wie würden sich steigende Zinsen auf die Bilanzen der ENTEGA auswirken?

A.F. Wenn die Zinswende kommt, wird das vermutlich vor allem solche Unternehmen treffen, die sich über die letzten acht bis zehn Jahre zu null Prozent refinanziert und selbst keine solide Wertbasis geschaffen haben. Aber auch etablierte Unternehmen werden den Gürtel enger schnallen müssen. Daher sind wir bei ENTEGA in der guten Situation, dass wir einen Großteil unseres Budgets fix verzinst haben.

G.T. Das zeigt, dass Sie geplant und vorausschauend gehandelt haben. Und nicht darauf vertraut haben, dass es immer noch billiger wird.

A.F. Ich plädiere immer sehr dafür, die Risiken zu begrenzen und daher günstige Zinssätze zu fixieren.

,,Wir haben uns finanziell so aufgestellt, dass wir auch bei einer Zinswende noch Gestaltungsfreiheit haben.“
Albrecht Förster

Wagen Sie in diesen Zeiten einen wirtschaftlichen Ausblick in die Zukunft? Wie werden wir nach dieser Krise leben und wirtschaften?

A.F. Ich denke, der Ausbau der erneuerbaren Erzeugungsanlagen wird ungebremst weitergehen. Und in der ferneren Zukunft werden wir vielleicht technisch in der Lage sein, das in der Luft befindliche CO2 in irgendeiner Form wieder zu binden. Die Sonneneinstrahlung ist eine riesige Energiequelle, und möglicherweise können wir dann sogar einen Treibstoff aus dieser Energie gewinnen, wer weiß. Diese neuen Technologien müssen wir erst noch entwickeln. Aber ich glaube fest daran, wir werden das schaffen.

G.T. Forschung und Entwicklung haben auch etwas mit Freiheit zu tun. Denn zum einen muss man den Unternehmen erst einmal den Freiraum geben, dass sie solche Innovationen vorantreiben und Technologien entwickeln können, die man sich heute noch nicht vorstellen kann. Und zum anderen gilt im Erfolgsfall: Solche Technologien können uns aus dem gegenwärtigen Handlungsdruck befreien und wieder neue Gestaltungsspielräume eröffnen.

A.F. Auch deswegen verwenden wir bei ENTEGA einen guten Teil unseres Budgets für die Forschung und Entwicklung und die Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungsinstituten. Das Darmstädter Energie-Labor für Technologien in der Anwendung (DELTA) ist nur eins von vielen Beispielen dafür, wie sich ENTEGA engagiert, um die Zukunft mitzugestalten.

G.T. Weltweit hat der Handel enormen Wohlstand geschaffen und die Inflation niedrig gehalten. Wenn die Globalisierung jetzt ins Stottern gerät, werden wir schon in den entwickelten Ländern einige sehr deutliche Abstriche von unserem jetzigen Wohlfahrtsniveau machen müssen. Aber in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die auf höheren Wohlstand gehofft haben, kann eine De-Globalisierung zu Hungersnöten führen. Ich fürchte, dass wir tatsächlich an einem solchen Wendepunkt stehen. Es kommen schwierigere Zeiten auf uns und unsere bisher gelebte Freiheit zu.

A.F. Dennoch sollte man sich auch hin und wieder vor Augen führen, dass der Wohlstand auf der Welt insgesamt noch nie höher war als heute. Wir sind rundum ausgestattet mit Hightech. Wenn wir die Krise nicht meistern, wird es jedenfalls nicht an den fehlenden Möglichkeiten liegen. Aber wir müssen unsere Freiheit auch entschlossen nutzen.

Frau Traud, Herr Förster – vielen Dank für das Gespräch!

Vom See kam eine leichte Brise, ich zog mich aus, die Klamotten fielen auf den Steg. Fröstelnd verbarg ich mich in meinen Armen und schaute auf das glatte Wasser, die gleißende Sonne schuf eine Oberfläche ohne Tiefe, einen Spiegel ohne Grund, zur Antwort nicht bereit.

Da war das Gefühl, Freiheit sei doch nicht dem eigenen Willen ergeben, der Dreiklang einer Widmung nur, von Körper, Geist und Seele.

Ich sprang willkommen und tat mir gut.

Wilhelm Kirchgässner